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Kunst und Kultur
Die Nachkriegsjahre waren die Zeit der Radikalität und des Experimentierens mit avantgardistischen Stilrichtungen. Zu Anfang der 20er Jahre stellten die expressionistischen Künstler in Theater und Malerei Menschen als Marionetten, Maschinen oder - wie Ernst Toller - als "Masse" dar. Viele vom Ersten Weltkrieg desillusionierte Künstler bekämpften provokant die Relikte der wilhelminischen Gesellschaft, die sich in der jungen Republik behauptet hatten. Schonungslos sezierten Otto Griebel in "Ein Stück europäischer Kulturaufschnitt" oder George Grosz in seiner Bildermappe "Ecce Homo" die Phänomene der Zeit. Paul Fuhrmann stellte neureiche Kriegsgewinnler dar, während andere Maler versuchten, Armut und Hunger bildlich zu beschreiben. Die Avantgarde gewann zu Beginn der 20er Jahre an öffentlicher Anerkennung. In zahlreichen Ausstellungen und Museen waren Bilder von modernen Künstlern des Surrealismus und Dadaismus wie Max Ernst, Paul Klee oder Hans Arp einem breiten Publikum im Deutschen Reich zugänglich. Politik und Kultur waren aufs engste verwoben, und oft stellte sich der
künstlerische Innovationsgeist in den Dienst einer politischen Partei.
Viele Künstler und Intellektuelle wie Ernst Toller oder John
Heartfield begeisterten sich für die Ideale der Revolution
von 1918/19 und für die 1919 gegründete Kommunistische
Partei Deutschlands (KPD). Otto Griebel stellte sein Schaffen - wie
mit dem Gemälde "Die
Internationale" - ebenso in den Dienst einer
revolutionär-proletarischen Kunst wie Käthe
Kollwitz mit ihren Bildern für Pazifismus.
Auch die relativ stabile mittlere Phase der Republik schlug sich
fruchtbar in der Kunst nieder. Die Neue
Sachlichkeit löste das Pathos der frühen Jahre ab. Maler wie Max
Beckmann, Otto
Dix oder Christian
Schad skizzierten ein scharfes Bild der Wirklichkeit. In der
Architektur und im Design trat eine kühle Nüchternheit in den Vordergrund.
Zum Symbol der ästhetischen Moderne wurde das von Walter
Gropius in Weimar gegründete Bauhaus
mit seinem betont nüchternen Programm. Die Literatur erlebte ab der Mitte der 20er Jahre eine Blütezeit. Zu einem vielgelesenen Klassiker avancierte der 1924 erschienene Roman "Der Zauberberg" von Thomas Mann. 1929 erhielt Mann den Literaturnobelpreis, allerdings vornehmlich für sein Prosawerk "Die Buddenbrooks" von 1901. Weltruf erlangte 1927 auch Hermann Hesse mit "Der Steppenwolf". Gesellschaftskritische Unterhaltung boten die anspruchsvollen Sozialreportagen von Egon Erwin Kischs "Rasendem Reporter" (1925) und Arnold Zweigs Roman "Streit um den Sergeanten Grischa" (1927). Aus der Generation der Frontsoldaten beschrieben Ludwig Renn in "Krieg" (1928) und Erich Maria Remarque in "Im Westen nichts Neues" (1929) die Schrecken des Ersten Weltkriegs. Das vielfältige kulturelle und literarische Leben in der Weimarer Republik erlaubte es auch schreibenden Frauen, ein neues Selbstbewußtsein zu entwickeln. Vor allem Berlin als Stadt mit den meisten Verlagen, Zeitschriften, Theatern und Cafes übte eine große Anziehungskraft aus. Zentraler Treffpunkt für Künstler war das Romanische Cafe gegenüber der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche (heute: Europa-Center). Hier wurden neue Texte verfaßt, vorgetragen und diskutiert. Regisseure, Literaten, Schauspieler, Kunsthändler und Maler trafen sich hier und machten die kulturelle Szene unüberschaubar. Die Anonymität der Großstadt erleichterte es Frauen, sich von der traditionellen Rollenzuweisung zu distanzieren und neue Lebensformen zu entwickeln. In den Romanen der 20er Jahre wurden Frauen dargestellt, die sich in fast allen Berufsfeldern profilieren. Ebenso neu war es, sexuelle Themen anzusprechen und zu diskutieren. Schriftstellerinnen wie Vicki Baum zeichneten das Bild der "Neuen Frau" als kritische und selbstbewußte Protagonistin, die im Berufsleben die gleichen Leistungen wie ihre männlichen Kollegen erbringt und fester Bestandteil einer modernen, großstädtischen Massenkultur ist, die sich in einem rasanten Tempo - vorangetrieben durch die Ausbildung moderner Massenmedien - entfaltete. Die Printmedien erlebten ebenso wie die Kinos einen stürmischen Aufschwung. Die visuelle Erfahrung erreichte ein Massenpublikum, Ende der 20er Jahre gingen in Deutschland täglich etwa zwei Millionen Menschen in über 5.000 Kinos. Die Universum Film AG (UFA) in Potsdam-Babelsberg entwickelte sich nach Hollywood zum zweitgrößten Filmimperium der Welt, wo internationale Klassiker wie der 1926 uraufgeführte Stummfilm "Metropolis" produziert wurden. 1930 gelang Marlene Dietrich mit dem ersten großen deutschen Tonfilm "Der blaue Engel" der Durchbruch zum Weltstar. Auch der Sport zog in der Weimarer Republik ein Massenpublikum an. Zum Fußball, im Kaiserreich noch als "undeutsche Fußlümmelei" verspottet, strömten wöchentlich Hunderttausende in die Stadien. Rad- und Autorennen zogen ebenso wie Boxveranstaltungen riesige Zuschauermengen an, die Kämpfe von Max Schmeling verfolgten Millionen Zuhörer an den Radiogeräten. Das neue Medium Rundfunk trat ab 1923 unaufhaltsam seinen Vormarsch an, innerhalb von zehn Jahren erhöhte sich die Zahl der in Deutschland angemeldeten Rundfunkgeräte von knapp 10.000 auf über 5,4 Millionen. Die Stimme der bekannten und beliebten Sängerin Claire Waldoff konnte Ende der 20er Jahre in jedem fünften deutschen Haushalt vernommen werden. Die Radioprogramme folgten einem Massengeschmack und förderten die
Verbreitung schnell abwechselnder Unterhaltungsschlager und
Gesellschaftstänze. Zum Lebensstil der "Goldenen Zwanziger" gehörten vor
allem die Tanzvergnügen. Der Charleston wurde zum beliebtesten
amerikanischen Modetanz in Deutschland. Für seine Verbreitung sorgten
nicht zuletzt die "Chocolate Kiddies" mit Duke Ellington (1899-1974), die
1924 als eines der ersten amerikanischen Jazzorchester in Berlin
auftraten, sowie der Revuestar Josephine
Baker, die 1927 mit ihrer "Charleston Jazzband" in der Hauptstadt
gastierte und die durch ihren "wilden" Tanzstil sowie ihre leichte
Bekleidung mit Bananenröckchen für Aufregung sorgte. Die Prüderie des
wilhelminischen Deutschlands machte - in den Großstädten - einer nie
gekannten, hemmungslosen Vergnügungssucht mit sexueller Freizügigkeit
Platz, die in Schlagertexten, großen Nacktrevuen und Darbietungen in
kleinen Kabaretts ihren Ausdruck fand. Vor allem der Jazz infizierte die
Vergnügungshungrigen. Revuen und Tanzlokale schossen in den Großstädten
wie Pilze aus dem Boden. Die für die Tänze notwendige Bewegungsfreiheit
hatte die "Neue
Frau" in knielangen Hemdkleidern, die mit Glasperlen und Pailletten
bestickt waren. Deren Gewicht ließ das Kleid zu den rhythmischen
Tanzbewegungen versetzt mitschwingen. Das Leben pulsierte, es pulsierte in
den Großstädten und vor allem in Berlin, dem kulturellem Zentrum
Deutschlands und neben Paris und London die europäische Kulturmetropole
schlechthin. Die mit 4,3 Millionen Einwohner drittgrößte Stadt der Welt
zog Talente und "Glücksritter" aus ganz Europa geradezu magisch an. Die rauschenden Partys der "Goldenen Zwanziger" - golden allerdings nur
für wenige - endeten abrupt mit der Weltwirtschaftskrise.
Die Verelendung der Bevölkerung spiegelte sich ungeschminkt in der Kunst
wider: Hunger und Arbeitslosigkeit
wurden zu Bildthemen der Milieumalerei
und der Photographie.
Romane wie Alfred
Döblins "Berlin
Alexanderplatz" (1929), Erich
Kästners "Fabian -
Die Geschichte eines Moralisten" (1931) oder Hans
Falladas "Kleiner Mann was nun?" (1932) thematisierten die Not und den
alltäglichen Überlebenskampf der Bevölkerung. (cj/as) |