1918-33 |
Industrie und WirtschaftDer durch den Ersten Weltkrieg abgebrochene Aufschwung der deutschen Industrie und Wirtschaft in der Zeit des Kaiserreichs konnte nach Kriegsende nicht wieder aufgenommen werden. Vielmehr kam es in der Weimarer Republik zu einer Stagnation der wirtschaftlichen Entwicklung gegenüber der Vorkriegszeit. Deutschlands Industrieproduktion war 1919 auf den Stand von 1888 zurückgefallen. Erst 1927 erreichte die industrielle Produktion wieder den Umfang von 1913. Mitte der zwanziger Jahre überstieg der Außenhandel die Ein- und Ausfuhr des Kaiserreichs. Rohstoffe und Nahrungsmittel waren die häufigsten Importgüter, Fertigwaren und der Maschinenbau machten den Großteil des deutschen Exports aus. Trotz fortschreitender Entwicklung vom Agrar- zum Industriestaat blieb die Landwirtschaft einer der wichtigsten Wirtschaftsbereiche des Deutschen Reichs. Anders als die politische Ordnung waren die Wirtschaftsverhältnisse nach dem Sturz der Monarchie von keiner wesentlichen Veränderung betroffen. In dem noch während der Revolution von 1918/19 abgeschlossenen Stinnes-Legien-Abkommen verzichteten die Gewerkschaften auf die sofortige Durchführung der Sozialisierung. Im Gegenzug erkannten die Arbeitgeber die Gewerkschaften als Interessenvertretung der Arbeitnehmer und als Tarifpartner an. Schließlich beendete die Weimarer Verfassung die Sozialisierungsbestrebungen, die vor allem von der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) gefordert wurden. In den Artikeln 152 und 153 der Verfassung wurde den Unternehmern die Wirtschafts- und Eigentumsfreiheit garantiert. Erheblich dezimiert wurde die deutsche Wirtschaftskraft nach Kriegsende durch die Bestimmungen des Versailler Vertrags. 26 Prozent der Steinkohleförderung sowie 44 Prozent der Roheisen- und 38 Prozent der Stahlproduktion des Deutschen Reichs stammten aus den abzutretenden Gebieten. Allein die Abtretung Elsaß-Lothringens bedeutete den Verlust von 70 Prozent der gesamten deutschen Erzförderung. Die Landwirtschaft verlor insgesamt einen Flächenanteil von 14 Prozent. Außerdem wurden der durch politische Kämpfe und Streiks ohnehin geschwächten Wirtschaft im Rahmen der Reparationen wichtige Verkehrsmittel entzogen: Neben 5.000 Lokomotiven, 150.000 Eisenbahnwaggons und 5.000 Lastkraftwagen mußten 90 Prozent der Hochsee-Handelsflotte, die 1914 die zweitgrößte der Welt gewesen war, an die Siegermächte abgeliefert werden. Der Verlust der Kolonien war ökonomisch hingegen von keiner nennenswerten Bedeutung. Insgesamt waren die ersten Nachkriegsjahre durch den Übergang von der Kriegswirtschaft auf die Friedensproduktion gekennzeichnet. Von zentralem Interesse war dabei die Wiedereingliederung der demobilisierten Soldaten in den Wirtschaftsprozeß. Neben der Einführung des Achtstundentags gelang das vor allem durch die auch zum Teil bewußt angeheizte Inflation. Durch niedrige Lohn- und Produktionskosten konnten deutsche Produkte zu Dumpingpreisen ins Ausland exportiert werden. Während die Produktionszahlen von Landwirtschaft und Industrie anzogen, herrschte bei den Arbeitnehmern nahezu Vollbeschäftigung. Im Gegensatz zu anderen Industrieländern, die von der weltweiten Nachkriegsdepression erfaßt wurden, befand sich das Deutsche Reich von 1920 bis 1922 in einer Phase der Hochkonjunktur. Allerdings war die Konjunktur nur eine Scheinblüte. Kurzfristig erleichterte die zunehmende Geldentwertung der exportorientierten Industrie zwar den Wiedereinstieg in den Welthandel. Für die Volkswirtschaft hatte sie hingegen verheerende Folgen. Der völlige Zusammenbruch der Währung 1923 und der Rückgang der Produktion stürzten Deutschland in eine schwere wirtschaftliche Krise. Gleichzeitig war durch die Besetzung des Ruhrgebiets, des bedeutendsten deutschen Industriezentrums, die Wirtschaft im übrigen Deutschland von ihren wichtigsten Energie- und Rohstoffquellen abgeschnitten. Der Wirtschaftskrise folgte nach der Währungsreform und der Verabschiedung des Dawes-Plans 1924 eine Phase des Aufschwungs. Ausländische Kredite und Investitionen ermöglichten die Einführung modernster Technologien. Technischer Fortschritt und Rationalisierung des Arbeitsprozesses waren die Schlüsselbegriffe für internationale Wettbewerbsfähigkeit. Elektrifizierung und industrielle Massenproduktion schritten in großem Maße voran. Siemens und die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) in Berlin konnten Weltmarktpositionen zurückgewinnen, die sie bereits vor 1914 eingenommen hatten. Als erstes deutsches Werk setzte die Firma NSU im Motorradbau das Fließband ein. In Stuttgart entstand 1926 die Daimler-Benz AG. Mit der Zunahme der Motorisierung und des Straßentransports in den zwanziger Jahren gewann die Kraftfahrzeugindustrie erheblich an Bedeutung. Zwischen 1922 und 1928 erhöhte sich der Bestand von PKW und LKW von 125.000 auf rund 470.000. Gleichzeitig sollten Arbeitsfähigkeit und -kraft in Deutschland durch gezielte Unfallverhütung gesteigert werden. Zunehmendes Streben nach Marktbeherrschung und Wettbewerbsbeseitigung führte zu verstärkter Kartellbildung und Unternehmenskonzentration. Mit der auf Initiative von Carl Bosch und Carl Duisberg betriebenen Fusion der Firmen BASF, Bayer, Hoechst und AGFA zur IG-Farbenindustrie entstand 1925 der umsatzstärkste deutsche Konzern. Ein Jahr später folgte die Gründung der Vereinigten Stahlwerke AG. In ihr wurden etwa die Hälfte der deutschen Eisen- und Stahlproduktion sowie über 20 Prozent der Kohleförderung zusammmengefaßt. Das zweitgrößte Montanunternehmen der Welt unter Leitung von Albert Vögler hatte eine Belegschaft von 250.000 Arbeitern und Angestellten. Die Phase des konjunkturellen Aufschwungs endete 1929/30 abrupt mit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise. Der Abzug amerikanischer Kredite, auf denen der Aufschwung seit 1924 beruhte, führte überall im Deutschen Reich zu Firmenzusammenbrüchen. Die Industrieproduktion sank von 1929 bis 1932 um 40 Prozent und fiel auf den Stand von 1904. Auch der Außenhandel ging drastisch zurück. 1931 führte zudem der Zerfall des internationalen Währungssystems zum Bankrott der Darmstädter- und Nationalbank (Danat-Bank) und beinahe auch der Dresdner Bank. Sparer stürmten Banken und Sparkassen, um ihr Geld zu retten. Die Bankenkrise verschärfte die wirtschaftliche Rezession. Massenarbeitslosigkeit und die sprunghafte Zunahme von Armut waren die Folge. Für die NS-Propaganda war die soziale Not ein ergiebiger Nährboden. Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) stieg zur Massenpartei auf. (as) |